Die Gebeine des Truchsess

Leseprobe

Es wird mir erheblich besser gehen heute; das spüre ich bereits beim ersten Atemzug. Die Nacht war eine erholsame gewesen. Wann ich das letzte Mal wegen einer Grippe im Bett gelegen habe, weiß ich nicht mehr. Es dürfte Jahrzehnte her sein. Und dann erwischt es mich doch noch mal und das auch noch an einem Freitag , den 3., obwohl ich nun wirklich nicht abergläubisch bin. Los ging es mit den üblichen Gelenkschmerzen und einer zermürbenden Mattigkeit: Beides ließ mich hoffen, dass ich nicht am Coronavirus erkrankt war, da es ja in den Medien heißt, man würde zunächst Fieber und einen trockenen Husten bekommen. Jedenfalls zwang mich das zunehmende Krankheitsgefühl schleunigst ins Bett zu kriechen und darauf zu vertrauen, dass es so schlimm schon nicht werden wird.

Außerdem wurde von öffentlichen Stellen sowieso geraten, bei Grippe oder bei Auftreten von sonstigen Erkältungssymptomen zunächst zuhause zu bleiben, um Arztpraxen nicht unnötig zu überlasten und, sollte man sich mit dem Coronavirus angesteckt haben, um andere nicht auch noch anzustecken. Dass die Erkrankung am Coronavirus in den allermeisten der Fälle milde verlaufen würde, gab mir die Zuversicht, im Falle tatsächlich daran erkrankt zu sein, eher auf einen moderaten Verlauf hoffen zu dürfen, zumal ich mit meinen Mitte fünfzig und ohne Vorerkrankung - zumindest gehe ich davon aus - zur eher weniger gefährdeten Risikogruppe gehören soll.
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Als Sandor und ich an dem nebeligen Tag mit den gelesenen Schilderungen die Studienbibliothek verließen, bekam die Stadt für uns, besonders in dem selten dichten Nebel, eine zusätzliche Realität. In unserer Fantasie sahen wir den prachtvollen Festzug an uns vorbeigehen, aus dem Vergangenen entstand eine Präsenz, die uns in eine Begeisterung versetzte, als wäre alles Geschehene im Augenblick einer Erinnerung möglich. Wir erinnerten, als wären wir dabei gewesen, als hätten wir die erfolgreiche Bitte des Bischofs Johann Gottfried von Aschhausen mitgehört, die er dem Papst vorgebracht hatte, um den Bischof Otto Truchsess von Waldburg, Gründer der hiesigen Universität, von Rom nach Dillingen überführen zu dürfen.

Die sterblichen Überreste sollten während des Festakts zum Beginn des akademischen Jahres im Oktober 1614 in der Studienkirche ihre letzte Ruhestätte finden. Außerdem war eine feierliche Überführung geplant, vom bischöflichen Schloss aus über die Herrengasse bis zur Universität, damit auch das Volk mitfeiern konnte. Und tatsächlich geschah alles wie vorgesehen, allerdings verzögerte sich wegen des lukullischen Mittagsmahles, das Bischof Heinrich von Knöringen für seine Gäste auftischen ließ, der festliche Zug durch die Stadt um gut zwei Stunden - was vor allem die zahlreich im Schlosshof wartenden Professoren und Studenten verärgerte.

Die Prozession zur Aula der Universität war ein Defilee damals in Dillingen illustrer Persönlichkeiten. Der prachtvoll erzierte Sarg, der von acht ausgewählten Studenten getragen wurde, gingen weitere Studierende der Universität und Angehörige des Jesuitenordens voraus, unmittelbar dahinter folgten Mitglieder der Familie von Waldburg, dann Bischof Heinrich von Knöringen, der Rektor der Universität und schließlich sonstige Würdenträger. Entlang der Strecke durch die heutige Schlossstraße, Königstraße und über den Rothplatz sammelten sich in großer Zahl die gewöhnlichen Bürger, etliche unter ihnen mit Trommeln, deren dumpfe Schläge den gravitätischen Schritt der Vorbeilaufenden begleiteten.

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