Johannes Brahms

Werkbeschreibung von Marcus Bernard Hartmann


Scherzo es-moll op. 4
4 Balladen op. 10


Johannes Brahms war zur Kompositionszeit des Scherzos op. 4 und der Balladen op. 10 «ein jugendlicher, interessant wie eigenartig aussehender junger Musiker, der in seiner noch beinahe knabenhaften Erscheinung, mit seiner hellen Stimme, den langen blonden Haaren, einen höchst anziehenden Eindruck machte». – Die Beschreibung eines zeitgenössischen Bewunderers beschränkt sich da auf des Komponisten Äußeres; dass sein Inneres weitaus reifer und ernster sein musste, lässt allein schon die Stimmung der Balladen vermuten.


Die Inspiration zu den 4 Balladen op. 10 lieferte ein schauderhaftes schottisches Lied, das ein grausames Ereignis besingt. «…Dein Schwert, wie ist’s von Blut so rot? Edward, Edward! …» Schon die ersten Zeilen erzählen von dunkler, grausiger Tat, die in den Worten «…O ich hab‘ geschlagen meinen Vater tot. Mutter, Mutter! …» schreckliche Wahrheit wird. Entsagend dann, wendet sich der Sohn von der Mutter ab und klagt: «Fluch will ich euch lassen und höllisch Feuer, denn ihr, ihr rietet’s mir» und womit das Lied sein schauriges Ende findet. Der dunkle Ton der sogenannten Edward-Ballade klingt in den folgenden drei poetisch beziehungslos gebliebenen Balladen nach und verleiht somit dem gesamten Opus einen ernsten Charakter.

Überaus aufschlussreich sind sicherlich einige Briefzeilen Robert Schumanns an seine Frau Clara, die sich auf das frühe Meisterwerk beziehen und mit feinsinnigem künstlerischen Verständnis hier eine besondere Erläuterung sein sollen: «… und die Balladen – die erste wie wunderbar, ganz neu, nur das doppio movimento wie bei der zweiten versteh’ ich nicht, - wird es nicht zu schnell? Der Schluss schön-eigentümlich! Die zweite wie anders, wie mannigfaltig, die Phantasie reich anzuregen, zauberhafte Gänge sind darin. Das Schluss-Bass-Fis scheint die dritte Ballade einzuleiten. Wie nennt man die? Dämonisch, - ganz herrlich und wie’s immer heimlicher wie nach dem pp im Trio; dieses selbst ganz verklärt und der Rückgang und der Schluss. Hat diese Ballade auch in Dir, meine Clara, wohl einen gleichen Eindruck hervorgebracht? In der vierten Ballade wie schön, dass der seltsame erste Melodieton zum Schluss zwischen moll und Dur schwankt und wehmütig in Dur bleibt …» – «Wehmütig, schön-eigentümlich, dämonisch, immer heimlicher» – wie treffend ist doch mit diesen Worten der Balladenton von Brahms umschrieben.


Als Kontrast wirkt das Scherzo es-moll op. 4, worin Phantasie und Genie des jungen Komponisten in spielerischen Gedanken aufsprühen. Johannes Brahms hat das Werk oft selbst vorgetragen, sich mit dessen Vorspiel in vielen kunstbegeisterten Häusern eingeführt und musikalischen Persönlichkeiten vorgestellt. Worte des Lobes fand insbesondere Franz Liszt, der das Stück in seinem Hause in Weimar Komponisten und Musikern vorspielte. Von konzertanter Wirkung, in einer manchmal fast herben, aber für Brahms typischen Klangsprache, entwickelt das Scherzo für ein Erstlingswerk ein erstaunliches Selbstbewusstsein, weist es doch schon einen ganz persönlichen Stil auf. Umso beieindruckender erscheint das Erreichte, verblüffender noch im Verbund mit den Klaviersonaten. Wenn man bedenkt, dass mit Frédéric Chopin, Robert Schumann und Franz Liszt das Klavier zu jener Zeit einen Höhepunkt erreicht hatte und die Kompositionen jener Ausnahmeerscheinungen das Instrument nachhaltig prägten.

Warum das Scherzo, das als älteste auch veröffentlichte Komposition von Brahms gilt, erst mit der Opuszahl 4 erscheint, während die später komponierten Sonaten in C-Dur und fis-moll vorgezogen wurden, erklärt der Komponist mit den Worten: «Wenn man sich zuerst zeigt, will man nicht zuerst den Fuß, sondern den Kopf sehen lassen.» – Doch welch ein schreitender Fuß!