Ludwig van Beethoven

Werkbeschreibung von Marcus Bernard Hartmann


Sonate Es-Dur op. 7 «Grande Sonate»
Sonate c-moll op. 13 «Grande Sonate Pathétique»

An der Schwelle zum 19. Jahrhundert, einer Zeit des Umschwungs, komponiert Ludwig van Beethoven zwei eindrucksvolle Klaviersonaten: Die in ihrem Aufbau symphonische Es-Dur op. 7 und die in ihrem Ausdruck leidenschaftliche c-moll op. 13.

Die Sonaten deuten auf bis dahin Unbekanntes. Dimensionen wie sie im Opus 7 strukturiert sind, hatte man zuvor einer Klaviersonate nicht anvertraut. Es bedurfte des stürmisch drängenden Impetus Beethovens, um so entschieden Neues anzugehen. Im Geiste jener Aufbruchstimmung, welche die abendländische Welt erfasste – immer mehr löste man sich von den Zwängen und Konventionen, die Ideale der Französischen Revolution forderten ihr Bewusstsein – formte in der Kunst zusehends das Individuelle und Persönliche den künstlerischen Anspruch. Beethoven charakterisierte diese erwartungsvolle Zeit, seine Werke wurden Sinnbild des aufbrechenden, neue Bahnen beschreitenden Künstlers. Er rückte bedingungslos die Persönlichkeit in den Mittelpunkt des musikalischen Schaffens.


Von zukunftsträchtigen Gedanken getragen, erhebt sich die vom Komponisten selbst hoch eingeschätzte «Grande Sonate» in Es-Dur op. 7 zum frühen Meisterwerk.

Ein lapidares Motiv eröffnet den Kopfsatz; kaum ist ein Beginn komprimierter zu formulieren. Doch welch großzügige Fortführung: Die Gedankenvielfalt und die weite formale Anlage inspirieren einen zusätzlichen Formabschnitt von weitschweifender Entfaltung und thematischer Qualität; allein er bleibt motivisch unverarbeitet und demzufolge sinngemäß eine für sich unabhängige Episode. Im Verhältnis zur thematischen Fülle der Exposition folgt eine erstaunliche kurze Durchführung, die jedoch am Ende des Satzes in einer ausladenden Coda ihre Rechtfertigung findet. Das Largo ist eines jener tiefgründigen Klangbilder, wie sie Beethoven einige Male als lyrischer Satz einer Sonate gelungen ist; meditative Ruhe, kontemplative Betrachtung in subtilster Klanglichkeit. Wie die Pause, die Stille, inniger musikalischer Ausdruck sein kann, dürfte hier wundervollst ausgeführt sein.

Schwer ist da der Übergang zum dritten Satz zu finden, dem die sonst übliche Überschrift fehlt. Weder Scherzo noch Menuetto scheinen Beethoven als Bezeichnung geeignet, obwohl das Allegro den Charakter eines Menuetto erkennen lässt. Diese Unentschlossenheit kann man dem Minore zuschreiben, das in seiner unheilvollen, düsteren Stimmung eines Verständnisses bedarf, das damals wohl schwerlich im gängigen Schema von Scherzo und Menuett zu finden gewesen wäre. Anakreontische Wesenszüge würde man dem Rondò durchaus andichten, wenn da nicht die Seitensätze, wovon derjenige in Moll in seinem Kontrast sich dramatisch und aufwühlend gibt, das Finale so vielseitig erscheinen ließen. Der Sonate verleiht das sanftmütige Thema einen zusätzlichen Charakterzug und wirkt so ganz im Sinne dieser mannigfaltigen und groß angelegten Sonate.


Die «Grande Sonate Pathétique» ist ein wahrlich beeindruckendes musikalisches Bekenntnis, der Leidenschaft entstiegen. Auch wenn die Beliebtheit dieser Sonate das Wundervolle schon auszureizen droht, eine unvoreingenommene Aufnahme bald unmöglich macht, die einleitenden Takte des Grave werden ihre Faszination wohl kaum einbüßen. – Gewiss, es ist waghalsig ein Werk zu interpretieren, das abertausend mal eine Meinung erfahren hat, sich anschickt irgendwann womöglich sogar eine Wahrheit zu bekommen (den letzten Gedanken lese man mit der Vermutung, dass viele Meinungen am allerwenigsten eine Wahrheit hervorbringen würden), doch verliert sich dadurch die Berechtigung einer weiteren Interpretation?

Manchmal geht man ausgetretene Pfade und merkt, dass so manches schon nachwachsen will. Der Pathétique etwas Neues zu entlocken, bedarf zwar einer besonderen Sublimierung, ihr aber nur noch das Dasein eines abgehörten Kunstwerks zu gönnen, wäre unverständig. Dass die Sonate ihre Überschrift zurecht trägt, vermittelt gleich der Hauptsatz: Die gravitätische Einleitung und das aufwühlende 'Allegro di molto e con brio' sind von großem Gestus, von leidenschaftlichen Gedanken inspiriert. Drängende Tremolando-Bässe und weite Spannungsbögen verleihen dem Satz eine wirkungsvolle Vehemenz, kontrastiert von verinnerlichenden Grave-Reprisen. Ein emphatischer Gesang, betörend in seiner Sinnlichkeit, prägt das 'Adagio cantabile', eine der eingängigsten Kompositionen Beethovens. Hier singt verklärend und einfach eine Stimme von tiefen Gefühlen; die Brust weitet sich zu einem allumfassenden Atemzug. Dem Kernmotiv des zweiten Themas aus dem Kopfsatz entnommen, bildet die aufsteigende Tonfolge auch das Rondò-Thema, den Ausdruck kaum verändernd. Diese satzübergreifende Beziehung verleiht der Sonate eine kompositorische Einheit bewusster künstlerischer Intention. Die Gesetzmäßigkeit der Form wird klassisch auskomponiert, demzufolge das Finale auch keine formalen Überraschungen aufweist; es beschließt die Pathétique in konzertanter Manier, stilsicher und souverän.