Wie soll man heute noch komponieren?

Gedanken von Marcus Bernard Hartmann


Gibt es irgend etwas, das noch nicht zum Klingen gebracht wurde? Wenn selbst Musikinstrumente so verwendet werden, dass sie nur noch Geräusche erzeugen?
Wenn Staubsauger, Helikopter, Küchengeräte, Presslufthammer, Gegenstände
aller Art das Instrumentarium bilden?

Wirkt da das herkömmlich bespielte Klavier nicht geradezu armselig? Ist da eine
Folge von Tönen, die entferntest an eine Melodie erinnert, nicht unrettbar gestrig?

Manchmal beneide ich Popmusiker, die gefallen dürfen. - Als Musiker, der das
Bedürfnis hat, seine eigene Wahrnehmung der Welt in eine klangliche Emotion,
in eine kompositorische Sprache umzusetzen und dabei seine persönliche Eigenart
nicht ignorieren will; als Musiker, der aber gleichzeitig Töne verwenden möchte,
Musik als etwas Ästhetisches versteht, als etwas, das das Innerste im Menschen bewegt, das keine Regung unberücksichtigt lässt; als ein solcher Musiker habe ich manchmal das Gefühl, um eine Berechtigung kämpfen zu müssen. Den einen ist man viel zu spitzfindig und kompliziert; den anderen ist man zu konventionell, nicht erneuerisch genug, nicht zeitgenössisch.

Daher musste ich zunächst sämtliche Meinungen, all die vermeintlichen Kriterien, all die Richtlinien, die irgendwie zur Relevanz geraten sind - aus welchen tendenziösen Gründen auch immer - ignorieren, um mit dem Komponieren beginnen zu können. Der eigenen Vorstellung von Musik gerecht zu werden, ohne sich von Meinungen irritieren zu lassen, gut gemeinten wie selbstgerechten; das schien mir die einzige Möglichkeit meine in mir gehörte Musik hörbar zu machen.

Meine Musik sollte vor allem mir gefallen, mich ansprechen. Ich wollte nicht irgendwelchen Kriterien genügen, sondern nur meiner ästhetischen Empfindung nachkommen. Ich brauchte Stille, das Vergessen von allem bis dato Gehörten, um erst danach meiner Musik einen Stellenwert im Vergleich zu geben. - Hätte ich das überhaupt tun müssen?

Schließlich überzeugte ich mich, dass es eigentlich nur eine Möglichkeit gibt: Jeder Musiker sollte unabhängig aller Werturteile komponieren; sie sollte dem entsprechen,
was er ist. Natürlich steht jeder Komponist mit einem anderen im Dialog, mit einem Zeitgenossen oder mit Schubert, Schumann, Mahler, Bach, Mozart, Schostakowitsch oder Hindemith. Und immer ist es auch eine Stellungnahme; doch die sollte komparatistisch sein und nicht selektiv.

Das Komponieren wird nicht einfacher; schon gar nicht, wenn anscheinend alles erlaubt ist. «Anything goes»; alles ist möglich; und ist das deshalb so, weil man sonst Gefahr läuft, ein bisschen wie Skrjabin, wie Granados oder sonst wer zu klingen. Aber ist Arvo Pärt nicht deshalb so interessant, weil es wie ein Palestrina der zweiten Jahrtausendwende klingt?

Kann man heute überhaupt noch einmalig sein? Wie selbstständig sind denn angesehene Komponisten heute wirklich? Ist es überhaupt noch möglich - vorausgesetzt man arbeitet mit Tönen - etwas noch nie da Gewesenes zu komponieren?

Würde man alle Musik speichern und dann Gleiches herausfiltern, eine Flut von Plagiatsvorwürfen wäre die Folge. Und dies auch ohne Popmusik, die ohnehin, von Natur aus, der Gefahr des Ähnlichen ausgesetzt ist. Es scheint des Suchens nach Antworten kein Ende zu geben. Wichtig bleibt wahrscheinlich nur, dass Kreativität nie des Zweifelns wegen zum Erliegen kommen darf. Was von Wert ist, soll weiterhin die Qualität der ästhetischen Bildung empfinden, das Bedürfnis der jeweiligen Menschen die Welt in der Musik zu hören.