Vortrag Nietzsche Kolloquium Fragment-Variationen

Einführung zu den Fragment-Variationen

anlässlich des Nietzsche-Kolloquiums in Sils-Maria
am Samstag, den 25. September 2010


«Das Fragment an sich» ist ein kurzes Klavierstück, das Nietzsche, nach der Angabe aus «Friedrich Nietzsche: Der musikalische Nachlass. Basel 1976», am 16. Oktober 1871 komponiert hat.

Das Fragmentarische wird dadurch verdeutlicht, dass das Stück harmonisch kein Ende findet und auch der am Ende einer jeden Komposition stehende Doppelstrich fehlt. Statt dessen steht da «da capo, con malinconia», das heißt, der Vortragende kann «ad libitum» das Stück wiederholen. Doch richtet sich dieser nach der Bezeichnung «da capo», er also das Stück erneut von seinem Anfang spielt, klingt der Ablauf wenig überzeugend. Zum einen, weil sich mit der Abfolge der Takte Unstimmigkeiten ergeben, und zum anderen, weil der harmonische Ablauf wenig überzeugend wirkt.

Was kann Nietzsche aber dann mit dem «da capo» gewollt haben?

Sinn gibt dieser Hinweis zum Wiederholen nur, wenn man das «da capo» einschränkt und nicht zum Anfang des Stückes zurückgeht, sondern bei Takt 8, auftaktig die Bassstimme wieder übernimmt. So könnte man durchaus das Fragment in alle Ewigkeit wiederholen. Womit wir erfahren würden, dass die Idee der ewigen Wiederkunft lange vor ihrer philosophischen Formulierung künstlerisch ihren Ausdruck fand. Das würde darauf hinweisen, wie sehr Nietzsche doch auch Künstler war, er aus dem Geiste der Kunst gedacht hat.

Die Idee Nietzsches, man könne das Stück «da capo» spielen, habe ich soweit übernommen, soweit es auch stimmig wirkt: ich wiederhole das Thema bei Takt 8, wo die Bassstimme wie selbstverständlich das Fragment in eine ewige Wiederholung führen kann. Die musikalische Sprache der «Fragment-Variationen» ist weitaus moderner als diejenige der «Dionysos-Dithyramben»; dies erklärt sich daraus, dass Variationen aus einer späteren Zeit als der Komposition des Themas, eben mit modernen musikalischen Mitteln komponiert werden können, während der Ansatz die «Dionysos-Dithyramben» Nietzsches seien literarisch notierte Musik doch einer gewissen historischen Rücksicht des zu verwendenden Materials bedarf. Es sei denn, Nietzsche hätte musikalisch derart weit in die Zukunft gedacht, wie er dies philosophisch getan hat. Dies zu denken, lässt aber der musikalische Nachlass nicht zu.